Ich habe eine Frage. Nein, sogar viele Fragen habe ich – alle ausgelöst durch die Lektüre eines Blogeintrags bei The Journalism Iconoclast. Vielleicht mögt ihr mir helfen, das Chaos in meinem Kopf, das solche Texte manchmal auslösen, zu ordnen.
Haben traditionelle Medien zu viel Angst, andere zu beleidigen, und entfernen sich deswegen zunehmend von ihrer Leserschaft? Ist Objektivität nur ein Geschäftsmodell? Hat sich das Medium deshalb im Leben vieler so etabliert, weil dort diejenigen sitzen - auch Journalisten, nicht nur Blogger -, die das aussprechen, was die Zeitungsredakteure sich nicht zu sagen trauen? Weil Redakteure bei Onlinemedien auch mal den Mut haben, sich auf eine Seite zu schlagen - ohne Rücksicht auf die Konsequenzen von der anderen Seite?
Bin ich in der heutigen Zeit nur noch eine gute Journalistin, wenn ich mich für eine Perspektive entscheide? Wenn ich in einer Angelegenheit zwischen den Stühlen stehe, weil ich die Argumente beider nachvollziehen kann? Macht meine generelle Objektivität mich nicht bei anderen Anlässen dafür umso glaubwürdiger, wenn ich mich normalerweise nicht so schnell auf Pro oder Contra festlege wie ich es bei den Themen Netzsperren oder Vorratsdatenspeicherung tue? Bedeutet Journalismus heute etwa nicht mehr, neutral zu sein, alle Quellen zu prüfen, alle Argumente auszuloten und darzustellen - außer in Textformen wie dem Kommentar?
Was heißt das für mich als Journalistin? Und als Bloggerin? Schreibe ich nur über Themen, zu denen ich eine wirklich starke Position beziehen kann? Beachte ich in Zukunft die Gegenargumente nicht mehr, um für genug Kontroverse zu sorgen, damit ich im Netz auch gelesen werde?
Voltaire hat gesagt: "Der Mensch muß ein ungeheurer Ignorant sein, der auf jede Frage eine Antwort weiß." Aber für eine kleine Diskussion wäre ich dankbar.
Mirko sagt:
Die Konstitution der Ausgangslage will mir nicht einleuchten. Sind unsere Zeitungen (oder die US-Amerikanischen) „in the middle“? Ich muss sagen, das ist nicht unbedingt das erste, was mir in Bezug auf Journalismusqualität einfallen würde. Muss ich mal näher drauf achten.
Grundsätzlich unterstütze ich aber die Haltung, in Publikationen Flagge zu zeigen. Aber auch das muss mit Qualität verbunden werden. Es ist ein Unterschied, ob jemand online sein mehr oder minder hochwertiges Gutdünken walten lässt oder ob mit journalistischen Standards gearbeitet wird.
Carolin Neumann sagt:
Stell mir doch keine Gegenfrage. Habe doch selbst so viele gestellt ;-)
Jürgen sagt:
Ich glaube nicht,
dass es wirklich so etwas wie Objektivität im Journalismus gibt. Jedenfalls nicht bei längeren Artikeln, die mehr erfordern als eine reine Information („Wettervorhersage: 20°, Regen“,“Apple bringt bald neues I-Phone“,…).
Am Ende ist jeder längere Artikel in der Wertungen erforderlich werden subjektiv. Die Artikel, in denen sich der Redakteur um eine eigene Meinung herumzudrücken versucht, sind nicht unbedingt die besten, denn damit wird ja auch der Leser nach der Lektüre ratlos zurückgelassen.
Was einen guten Journalisten meiner Meinung nach ausmacht, ist Fairness.
Dass er versucht, während der Recherche unvoreingenommen zu sein, sich alle Fakten ergebnisoffen besorgt, und alle Meinungen anhört.
Dann muss er sich eine eigene Meinung bilden, die er in seinen Artikel schreibt. Er kann ruhig auch Gegenargumente bringen, aber schon durch die Reihenfolge in der er sie präsentiert bezieht er automatisch Stellung.